Im Interview: Erik Spiekermann: “Eigentlich könnte ich jetzt mal zu Hause bleiben. Ich bin ja niemandem Rechenschaft schuldig. Aber ich trau’ mich nicht.”

Aktualisiert am 24. August 2023
Veröffentlicht am 20. September 2018

IM INTERVIEW: ERIK SPIEKERMANN

Wer meint, Erik Spiekermann noch nicht zu kennen, kennt mit Sicherheit seine Arbeit. Erik hat die Schriften für diverse große Unternehmen wie die Deutsche Bahn oder Bosch entworfen und er war es, der für die BVG in Berlin das komplette Leitsystem entwickelt hat. Erik Spiekermann ist Typograf und gibt gerne Interviews in Podcasts oder Magazinen.

Warum das ein großes Problem für seine Arbeit ist, was er überhaupt von der Trennung zwischen Arbeit und Freizeit hält und vieles mehr haben wir mit Erik besprochen.

Das Gespräch beginnt eigentlich sofort nach der Begrüßung. Gerade noch rechtzeitig schaffen wir es, den Recorder einzuschalten. Schnell geht es um selbstgebaute Betten zu Eriks Studentenzeit Mitte der 60er in Berlin.

SNUG MAGAZIN: Was sind Deine frühesten Erfahrungen mit Matratzen?

Erik Spiekermann: Ich hab hier in Berlin ‘67 das Studium angefangen. Da ging man also zu Gummi-Wendt, legte sich zu Hause eine Spanplatte mit ein paar Löchern zur Luftzirkulation auf irgendeine Palette und dann gab es so 12 Zentimeter starkes, ganz normales Schaumgummi, was man heute als Verpackungsmaterial nehmen würde. Und das war unsere Matratze. Da hab ich meine Jugend drauf verbracht. Also eigentlich müsste ich völlig verkrüppelt sein (lacht). Wir wussten zwar schon damals, dass die Dinger das Gegenteil von atmungsaktiv sind, aber das war total billig. Und ich glaube dann kam ja Anfang der 70er IKEA. Und dann ging man eben dahin, weil es da so ne billige Matratze gab. Lattenroste hatten wir uns damals selber gebaut mit einem Rahmen und den Latten dazwischen. Darauf dann eine Unterlage aus Segeltuch, weil das luftdurchlässig ist und dann kam da die IKEA Matratze drauf. Die waren auch wieder sehr billig aber eben auch scheiße. Auf jeden Fall fuhren plötzlich alle Autos mit Matratzen auf dem Dachgepäckträger von IKEA-Spandau nach Berlin rein.

“Wahrscheinlich habe ich mein halbes Leben auf Matratzen gelegen, die dafür völlig ungeeignet waren”

SNUG MAGAZIN: Die Geschichten von solchen Selbstbauten erinnern mich immer an die Zeiten der Proberäume der Jugendbands. Bisschen Molton hier, bisschen Schaumstoff da…

Erik Spiekermann: Habt ihr keine Eierkartons benutzt? Ich habe natürlich auch mal in einer Band gespielt und da haben wir in einem ausgebauten Dach die Dachschrägen alle mit Eierkartons zugenagelt. Wahrscheinlich wahr das höllisch feuergefährlich – aber ob der Schaumstoff da so viel besser wahr (lacht) – aber das hat für einen absolut guten Klang gesorgt. Gemessen haben wir es nie, aber da war keine stehende Welle! Das wurde natürlich im Sommer durch die stehende Luft ergänzt. Aber ja, wir waren eigentlich bei Matratzen… Wahrscheinlich habe ich mein halbes Leben auf Matratzen gelegen, die dafür völlig ungeeignet waren.

Wir sitzen in Eriks Büro in der Werkstatt. Zum Hinterhof steht ein Fenster offen. Im Garten spielen Kinder.

SNUG MAGAZIN: Deine Matratze dürfte sich ja inzwischen verbessert haben. Aber hast Du heute Nacht gut geschlafen?

Erik Spiekermann: Ich habe heute Nacht scheiße geschlafen, das lag aber nicht an der Matratze sondern daran, dass ich dachte “Ach morgen kommt wieder dieser Typ von Snooze…” Nein, gestern war schon so ein Chaotentag und heute auch schon wieder so viele Termine. Ich komme einfach nicht dazu, ein paar Dinge abzuarbeiten. Ich muss zum Beispiel schon lange, für ein Buch, das ich schon fast gesetzt habe, ein paar Korrekturen machen. Das ist ein Witz, das braucht zwei Stunden. Aber die zwei Stunden schiebe ich ja schon wieder ne Woche vor mir her… Und wenn ich jede Stunde über die zwei Stunden nachdenke, dann wird das immer größer. Und am Ende liege ich die ganze Nacht wach und mache es doch nicht am nächsten Tag.

SNUG MAGAZIN: Hat das was damit zu tun, dass Du Dinge nach hinten aufschiebst?

Erik Spiekermann: Naja, es kommt ja immer was dazwischen! Ich habe mehrere Regeln und eine davon lautet: wenn ich was für Freunde mache aus Spaß, dann muss es innerhalb von zwei Stunden realisierbar sein. Dann setze ich mich aber auch sofort daran, weil ich solche Dinge ansonsten gar nicht machen würde. Die Sachen die aber schon länger liegen, bleiben dann doch liegen. Große Sachen kann man ja nicht an einem Stück machen, aber kleine Sachen werden groß, wenn man sie nicht sofort macht. Der Tag hat leider nur 36 Stunden…

SNUG MAGAZIN: Du arbeitest also auch nachts?

Erik Spiekermann: Mitunter ist es einfach schlauer, mal bis 3 Uhr morgens zu arbeiten, als die ganze Nacht wach zu liegen, weil man an das unfertige Projekt denkt. Obwohl dann meine Frau meckert, weil die sehr früh ins Bett geht. Aber wenn ich dann nur noch vier Stunden schlafe ist das besser als wenn ich sieben Stunden rumliege und mich nur ärgere.

Immer wieder kommen Mitarbeiter ins Büro und schleichen an unserem Tisch vorbei. Es wird angenehm viel gelächelt hier.

SNUG MAGAZIN: Das leitet ja ganz schön auf die Frage nach der berühmten Work-Life-Balance…

Erik Spiekermann: Die ist für mich kein Thema. Ich bin ja mein Leben lang immer Freiberufler gewesen. Ich habe zwar Firmen gehabt, aber ich war immer der Chef. Daher war ich immer der erste in der Firma und auch immer der letzte. Wenn man Chef ist, ist das so. Vielleicht liegt das an meiner protestantischen Auffassung, dass man seine Arbeit ordentlich zu machen hat. Wenn man sich dann noch für jeden Mitarbeiter ein wenig Zeit nimmt, am Ende waren es 150 Leute unter mir, rennt man ordentlich rum.

“Wenn ich Zeit hätte, würde ich meine Bücher lesen oder in die Luft gucken”

SNUG MAGAZIN: Also sind Work und Life dasselbe?

Erik Spiekermann: Ich habe es nie unterscheiden gelernt, das ist es was ich damit sagen will. Ich habe ja auch mit meiner damaligen Frau zusammengearbeitet und sogar eine Firma gegründet (FontShop, Anm. d. Red.) und eben auch zusammengelebt. Meine jetzige Frau ist auch Grafikerin, wir machen auch einige Projekte zusammen und somit sitzen wir auch immer aufeinander und arbeiten. Urlaub habe ich auch nicht mehr gemacht, seitdem mein Sohn 14, 15 war und der ist jetzt 50… Urlaub langweilt mich aber auch zu Tode! Ich bin ja viel unterwegs. Wenn ich Zeit hätte, würde ich meine Bücher lesen oder in die Luft gucken.

SNUG MAGAZIN: Und warum nimmst Du Dir nicht mal die Zeit und machst stattdessen bei solchen Interviews wie diesem hier mit?

Erik Spiekermann: Naja, weil ich nicht nein sagen kann. Mein eigener Werdegang war aber auch davon gezeichnet, dass ich Leute einfach immer gefragt habe und davon profitiert habe, dass sie sich Zeit für eine Antwort genommen haben. Ich habe damals so Leuten wie Adrian Frutiger geschrieben und die haben alle geantwortet! Manche hatte ich mal flüchtig kennengelernt, manche gar nicht. Die haben mir Skizzen geschickt, die waren unglaublich großzügig mit ihrem Wissen. Und das versuche ich heute eben weiterzuführen. Nur dass man eben heute von 100 Leuten angeschrieben wird, weil es so einfach ist. Aber dann denke ich immer daran, dass man mir auch geholfen hat.

SNUG MAGAZIN: Hier in der Werkstatt bietest Du auch Workshops an, richtig?

Erik Spiekermann: Ja, von kleinen bis zu großen Gruppen. Viele Firmen nutzen das auch um ihren Mitarbeitern zu ermöglichen, sich mal wieder die Hände schmutzig machen zu können. Statt Weihnachtsfeier kommen Designagenturen gerne hierher. Mal was anfassen und abends was Schönes in der Hand zu halten.

SNUG MAGAZIN: Wir haben vorhin schon kurz übers Reisen gesprochen. Du bist immer noch recht viel beruflich unterwegs, oder?

Erik Spiekermann: Wir haben gerade so ein großes Projekt mit Adobe gemacht, dann waren wir in Dessau beim Bauhaus, ich war in Paris in der letzten Woche…

SNUG MAGAZIN: Wie schläfst Du auf Reisen? Kannst Du da gut abschalten?

Erik Spiekermann: Ich hasse Reisen, weil ich in Hotels nicht schlafen kann! Inzwischen ist es wahrscheinlich eine Selbstsuggestion, dass ich die erste Nacht im Hotel immer ganz miserabel schlafe. Ich war jetzt gerade in Paris in einem tollen Hotel, wunderschönes Bett, und ich bin auch relativ früh ins Bett gegangen, aber ich habe einfach nicht schlafen können. Die Hölle.

SNUG MAGAZIN: Auch wegen der Projekte im Hinterkopf?

Erik Spiekermann: Nee, eigentlich war ich echt müde und es ist auch gut gelaufen und der hat mir Spaß gemacht, der Abend. Aber die erste Nacht schlafe ich einfach immer schlecht. Punkt. Wenn ich drei, vier Nächte unterwegs bin ist es ok. Ich hasse Hotels, aber ich liebe Reisen und woanders zu sein.

SNUG MAGAZIN: Wo schläfst Du denn am besten?

Erik Spiekermann: Ich bin relativ häufig bei meinem Sohn in London und habe da auch noch ne kleine Ecke in seinem Haus. Da schlafe ich immer gut, obwohl da nur ein Futon auf dem Boden liegt. Wie das berühmte Murmeltier schlafe ich da. Der Raum ist einfach sehr ruhig, hat gleichmäßiges Licht und es steht nicht viel drin. Es gibt so Räume. Da komme ich dann auch kaum aus dem Bett, weil es so gemütlich ist.

“Ich finde ja Vögel toll, aber mein lieber Mann, das Scheißvieh nervt!”

SNUG MAGAZIN: Und wie ist es zu Hause?

Erik Spiekermann: Zur Zeit haben wir eine Lerche vor dem Fenster, die wirklich um 4 Uhr morgens anfängt. Die nervt! Ich finde ja Vögel toll, aber mein lieber Mann, das Scheißvieh nervt!

SNUG MAGAZIN: Du fährst auch gerne Bahn, habe ich gelesen.

Erik Spiekermann: Ja, toll ist zum Beispiel der ICE von Berlin nach Amsterdam. Wenn man so gegen 12 Uhr losfährt, ist der immer schön leer und man kommt um 18 Uhr erholt in Amsterdam an. Da komm ich an, esse mit den Freunden zu Abend und dann ist der Tag gelaufen. Während der Fahrt habe ich sechs Stunden Zeit. Entweder döse ich, gucke aus dem Fenster, mach gar nix oder lese Zeitung. Das sind sechs Stunden Freiheit.

Inzwischen schaut Erik ab und zu auf die Uhr. Man merkt, dass er Lust auf das Gespräch hat, aber sein Kopf langsam aber sicher an die angestaute Arbeit denkt.

“Wenn ich schlecht schlafe, dann hat das auch nichts mit meiner Matratze zu tun”

SNUG MAGAZIN: Und hörst Du dabei auch Musik?

Erik Spiekermann: Nicht mehr so oft. Ich bin nicht so der Kopfhörertyp. Ich will hören, was um mich herum passiert. Also lese ich oder mache nichts. Und dann nickt man ja auch noch mal zwischendurch ein, oder sowas… Ich finde das sehr angenehm.

SNUG MAGAZIN: Hast Du wiederkehrende Träume? Träumst du von der Arbeit? Hast du Albträume?

Erik Spiekermann: Ich weiß, dass alle meine Träume eine Mischung sind aus Alltag und Vergangenem. Da kommen Leute zusammen, die sonst nicht zusammen kommen. Aber ich weiß, dass es immer einen Anlass hat. Wenn ich morgens drüber nachdenke, was ich noch weiß, sind das immer Sachen, die am Tag vorher passiert sind oder was ich gelesen habe. Also meine Träume sind wirklich die klassischen Erlebnisse, die ich nachts verarbeite. Ich hab auch mal die Träume in denen man fliegen kann, aber die hat ja jeder. Albträume habe ich nicht. Wenn ich schlecht schlafe, dann hat das auch nichts mit meiner Matratze zu tun, sondern einfach mit meinem Kopf, wenn er zu voll ist. Vor drei Tagen ist mir beispielsweise im Halbschlaf die Lösung für ein Problem eingefallen. Da musste ich sofort aufstehen und habs aufgeschrieben. Die Lösung war so klar, es war eindeutig!

SNUG MAGAZIN: Auch im Traum bist Du also bei der Arbeit. Du könntest Dich doch eigentlich langsam entspannen, oder nicht?

Erik Spiekermann: Eigentlich könnte ich jetzt mal zu Hause bleiben. Ich bin ja niemandem Rechenschaft schuldig. Aber ich trau’ mich nicht.

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Fotos: Johannes Weber (Snooze Project)

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