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Aktualisiert von Laura am 3. Juni 2025
Veröffentlicht von Petra am 3. Juni 2025
Kurz und knapp: Visco- bzw. Memory-Schaum im Überblick
- Ursprünglich in den 1960er Jahren von der NASA entwickelt.
- Weitere Bezeichnungen: Memoryschaum, Gedächtnisschaum, viskoelastischer Schaum.
- Gibt unter Körperwärme und -gewicht nach.
- Kehrt nach Entlastung zeitverzögert zur Ausgangsform zurück.
- Häufige Anwendungen: Matratzen, Kissen, Polster, medizinische Hilfsmittel.
Definition und Namensvielfalt
Viscoschaum, auch bekannt als Memoryschaum oder Gedächtnisschaum, ist ein viskoelastischer Polyurethanschaum. Als thermoplastischer Schaumstoff reagiert er innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs besonders nachgiebig. Dank seiner verlangsamten Rückverformung ist er sehr druckentlastend. Die Bezeichnung „Memoryschaum“ entstand, weil sich der Schaum die Form eines Körpers kurzzeitig zu merken scheint.
Erfindung und Entwicklung
Viscoschaum wurde in den 1960er Jahren von der US-Raumfahrtbehörde NASA entwickelt, um Sitzkomfort und Prallschutz der Astronauten während Starts und Landungen zu verbessern. Später gelangte der Werkstoff in die zivile Nutzung – zunächst vor allem in den Bereichen Medizintechnik und Matratzenherstellung.
Herkunft der Bestandteile von Viscoschaum
Genau wie die meisten anderen Matratzen-Schaumstoffe besteht Viscoschaum aus Polyurethan (PU) – einem Kunststoff aus Isocyanaten und Polyolen, welche größtenteils aus Erdöl gewonnen werden. Auch viele der möglichen Zusatzstoffe wie Stabilisatoren und Treibmittel werden petrochemisch erzeugt. Inzwischen geben erste Hersteller biobasierte Polyole bei, um den ökologischen Fußabdruck etwas zu verbessern. Gewonnen werden diese beispielsweise aus Pflanzenölen.
Herstellungsverfahren
Für die Herstellung von Viscoschaum wird eine Polyurethan-Masse mit speziellen Weichmachern und Additiven versetzt. Entscheidend für die viskoelastischen Eigenschaften des Endprodukts sind das Verhältnis der Komponenten und die Zellstruktur des Schaums. Die PU-Masse kann mit unterschiedlichen Methoden aufgeschäumt werden.
Am gängigsten ist das chemische Schäumverfahren: Polyole, Isocyanate, Wasser und weitere Additive werden in einem Reaktor vermischt, wodurch ein zähflüssiger Schaum entsteht. Dieser wird in Formen gegossen und unter kontrollierten Bedingungen ausgehärtet. Beliebter ist diese Strategie vor allem wegen ihrer niedrigen Kosten.
Das pneumatische Schäumverfahren basiert hingegen auf Druck und Temperatur: Die PU-Mischung wird in eine Form gespritzt, in welcher sie sich unter Einfluss von Wärme und Unterdruck zu Schaum ausdehnt. Diese Vorgehensweise erzeugt eine gleichmäßigere Zellstruktur und Materialdichte. Das Endprodukt ist hochwertiger, aber auch kostspieliger.
Eigenschaften von Viscoschaum
Als Viscoschaum erstmals auf dem Markt erschien, wurde er wegen seiner neuartigen Materialreaktion und dem daraus resultierenden Liegegefühl schnell populär. Er galt als innovative Alternative zu herkömmlichen Schaumstoffen und fand rasch breite Anwendung.
Typische Materialeigenschaften von Viscoschaum
- Druckentlastend: Passt sich der Körperkontur an, gleichmäßige Gewichtsverteilung.
- Thermoelastisch: Reagiert auf Körpertemperatur, wird weicher bei Erwärmung.
- Langsame Rückverformung: Kehrt verzögert in die Ursprungsform zurück.
- Formstabil: Behält seine Struktur auch bei längerer Belastung.
- Geringes Nachschwingen: Keine störende Rückfederung bei Bewegung
Typen von Viscoschaum
Es existieren mehrere Viscoschaum-Varianten, die sich in Struktur, Temperaturverhalten und Komfort unterscheiden. Abgesehen vom herkömmlichen Viscoschaum mit Memory-Effekt und seiner etwas reaktionsfreudigeren Spielart mit Gel-Beimischung gab es zwei wesentliche Weiterentwicklungen, die trotz ihrer Vorteile gegenüber der Standardversion recht unbekannt blieben.
Viscoschaum-Typen im Überblick:
- Standard-Viscoschaum aus PU (auch bekannt unter der Marke Tempur®).
Eigenschaften: wärmeempfindlich, hohe Dichte, stark formend, neigt zur Hitzestau. - Gel-Viscoschaum: Mix aus Memoryschaum und Gelpartikeln.
Eigenschaften: bessere Temperaturregulation, etwas schnelleres Rückstellverhalten. - Offenzelliger Viscoschaum: Modifizierte Zellstruktur für bessere Belüftung.
Eigenschaften: atmungsaktiv, weniger Wärmestau, angenehmeres Schlafklima − aber weniger anschmiegsam und relativ teuer. - Thermoneutraler Viscoschaum: durch chemische Zusätze weniger wärmeabhängig.
Eigenschaften: gleichmäßiges Liegegefühl unabhängig von Raumtemperatur − aber ebenfalls teuer und schwer erkennbar, da nur selten klar als thermoneutral deklariert.
Umwelt- und Gesundheitsaspekte
Viscoschaum entsteht durch die Reaktion von Isocyanaten mit Polyolen. Isocyanate sind hochgiftige, vermutlich krebserregende Stoffe. Im Zusammenhang mit einem Matratzentopper-Test bestätigt die Zeitschrift ÖKO-TEST jedoch, dass Isocyanate nach dem Schäumprozess nicht mehr nachweisbar sind. Nur durch Verbrennung (Hausbrände etc.) können Isocyanate erneut aus PU-Schaumstoffen freigesetzt werden.
Generelle Kritikpunkte an Viscoschaum
- Umweltbelastung im Vorfeld durch energieintensive Rohstoffverarbeitung
- Abhängigkeit von der begrenzten Ressource Erdöl
- Problematische Entsorgung, Recyclingketten funktionieren schlecht
- Freisetzung toxischer Blausäure-Dämpfe im Brandfall
- Kann hormonstörende Weichmacher und Flammschutzmittel enthalten
Gesundheitliche Bedenken gelten heute eher minderwertigen Importprodukten aus Nicht-EU-Ländern, während Viscoschaum aus fachgerechter EU-Produktion als sicher bewertet wird. Qualitätssiegel wie CertiPUR™ oder OEKO-TEX® STANDARD 100 / KLASSE 1 weisen explizit auf niedrige Schadstoffwerte gekennzeichneter Produkte hin.
Anwendungsbereiche von Viscoschaum
Was Viscoschaum am stärksten von anderen PU-Schaumstoffen unterscheidet, ist sein spezielles Reaktionsverhalten: Er passt sich exakt an, schwingt dabei kaum nach und kehrt bei Entlastung langsam in seine Ausgangsform zurück. Diese besonderen Materialeigenschaften machen ihn für bestimmte Einsatzgebiete besonders interessant.
Typische Nutzungsfelder und Produkte
- Schlafprodukte: Matratzen, Topper, Nackenkissen, Lagerungskissen
- Möbelindustrie: Ergonomische Sitzpolster, Relax-Sessel
- Gesundheitswesen: Anti-Dekubitus-Matratzen, Rollstuhlkissen, Prothesenpolster
- Fahrzeugbau: Komfortsteigernde Autositze, Motorradsitze
- Sport & Freizeit: Helmpolster, Protektoren, Schuh-Innensohlen
Aktuelle Entwicklungen
Viscoschaum unterliegt derzeit einer bemerkenswerten Entwicklung: Nach einem langjährigen Hype um Schlafprodukte mit Memory-Effekt haben diese in jüngerer Zeit stark an Relevanz verloren. Viele Menschen entscheiden sich aus eigener Erfahrung heraus eher wieder für Matratzen und Kissen aus reaktionsschnelleren Materialien. Auch neue Entwicklungen in der Matratzenbranche bewirken ein Umdenken.
Gründe für den Absatz-Rückgang bei Produkten aus Viscoschaum / Memoryschaum
- Bewegungsträgheit: langsame Rückverformung, „Hängematten-Gefühl“
- Teils ungeeignet für kühle Schlafzimmer, fühlt sich dort anfangs hart an
- Wärmestau: wenig atmungsaktiv, oft als schweißtreibend empfunden
- Imagewandel: statt Hightech-Narrativ („NASA-Schaum“) ist nun Nachhaltigkeit gefragt
- Im Trend: vielseitig nutzbare, alltagstaugliche Allround-Matratzen
- Moderne Alternativen sind luftdurchlässiger, dynamischer, leichter, temperaturunabhängig
Viscoschaum ist nicht vollständig vom Markt verschwunden: Für Spezialanwendungen wie Lagerungskissen, Topper oder orthopädische Produkte wird er nach wie vor gezielt eingesetzt. Bei Matratzen findet man Viscoschaum mittlerweile meist als dünne, nachgiebige Deckschicht einer stützenden Basis aus atmungsaktiverem Taschenfederkern oder Kaltschaum.
FAQ
Viscoschaum passt sich durch Körperwärme an und reduziert Druckpunkte, während sich Kaltschaum schneller anpasst und atmungsaktiver ist.
Das hängt vom Einzelfall ab. Durch seine gute Druckverteilung kann Viscoschaum die Wirbelsäule entlasten, doch manche Personen empfinden seine träge Rückverformung als störend.
In der Regel ja – hochwertige, zertifizierte Schäume sind milbenresistent und emissionsarm.
In ersten Ansätzen ja, z. B. durch den Zusatz biobasierter Bestandteile oder emissionsarme, strenger kontrollierte Produktion.
Nein, nicht wirklich. Durch die langsame Rückverformung des Materials wirkt es nur so, als hätte es eine Art Gedächtnis für die Körperkonturen.