Hilft autogenes Training beim Einschlafen?

Aktualisiert am 24. August 2023
Veröffentlicht am 5. Februar 2021

AUTOGENES TRAINING GEGEN SCHLAFPROBLEME?


Folgt man einer Studie der Techniker Krankenkassen (TK) so schläft jeder Dritte nur mittelmäßig, schlecht oder sehr schlecht. Unter den Berufstätigen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten oder Schichtdienst klagen sogar 40 Prozent der Umfrageteilnehmer über schlechte Schlafqualität. Eines der am meisten genannten Probleme beim Einschlafen ist der Stress. Sechs von zehn Menschen in Deutschland fühlen sich gestresst, sei es im beruflichen oder privaten Bereich. Das zeigen Umfragen. 23 Prozent geben sogar an, häufig gestresst zu sein.

Kann Autogenes Training (AT) dabei helfen zu entspannen und damit besser in den Schlaf zu finden? In diesem Beitrag versuchen wir, eine Antwort auf diese Frage zu finden.

BESSER EINSCHLAFEN DURCH ENTSPANNUNG


Renommierte Schlafforscher wie Dr. Hans-Günter Weeß oder Jürgen Zulley sind sich sicher: Entspannung ist der Königsweg zum Schlaf. Sie empfehlen vor dem Schlafengehen alle Dinge zu meiden, die zu Anspannung führen, ob es nun gedankliche, emotionale oder körperliche Bereiche sind. Nächtliche Diskussionen oder gar Streit? Lieber nicht. Sport vor der nächtliche Bettruhe oder schwere Mahlzeiten? Sollte man lieber meiden. Was den Schlaf ebenso killt: Wenn man unbedingt schlafen will. Denn wer – auf Teufel komm raus – schlafen will, bleibt wach und ruft eine schlafstörende Anspannung hervor.

Halten wir fest: Ohne gedankliche, körperliche und emotionale Entspannung wird es schwierig mit dem Schlaf. Eine Entspannungstechnik, die Hilfe verspricht, ist das Autogene Training (AT). Schauen wir es uns genauer an.

WAS IST AUTOGENES TRAINING?


Autogenes Training ist ein Entspannungsverfahren, das auf Selbstbeeinflussung, der sog. Autosuggestion beruht. Zurückzuführen ist es auf den Berliner Arzt Johannes Heinrich Schultz, der 1932 das Buch “Das Autogene Training” veröffentlichte. Schultz war der Meinung, dass die meisten Menschen einen Zustand tiefer Entspannung allein mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft erreichen können. Bei Menschen, die sich zum Beispiel intensiv Wärme in ihren Armen vorstellen, kann aufgrund der gesteigerten Durchblutung eine erhöhte Oberflächentemperatur gemessen werden. Heute dient das Autogene Training nicht mehr allein der Unterstützung der psychotherapeutischen Behandlung kranker Menschen, sondern verschiedenen Zielsetzungen wie etwa der Erhöhung der allgemeinen Lebensqualität, der Verbesserung sportlicher Leistungsfähigkeit oder der Work-Life-Balance.

DIE BASIS DES AUTOGENEN TRAINING


DAS VEGETATIVE NERVENSYSTEM

Das lang erhoffte Date steht kurz bevor und Du läufst unruhig auf und ab? Die Achterbahn-Fahrt wirbelt Dich durcheinander, und Du spürst einen echten Kick? Bei einem Waldspaziergang kommt Dir ein freilaufender, angsteinflößender Hund entgegen und Du gehst in Habachtstellung? Bei all diese geläufigen Situationen und Gefühlslagen spielen unsere Nerven eine entscheidende Rolle. In aufregenden Momenten (schönen wie brenzligen) ist unser Nervensystem gefragt. Blitzschnell übernimmt es die Regie, um unseren Körper auf die jeweilige Situation einzustimmen. Auf den Reiz folgt eine Reaktion. Diese Reaktion ist aber nicht das Resultat einer wohlüberlegten gedanklichen Analyse, sondern die unmittelbare “Antwort” unseres Körpers. Automatisch werden Körperfunktionen ausgelöst. Das umfasst zum Beispiel Herzschlag, Atmung, Blutdruck und Verdauung. Uns Menschen ist das geläufig, was man auch an den zahlreichen umgangssprachlichen Redewendungen erkennt. Ein paar Beispiele: Ich hab’ die Nase voll. Das geht mir an die Nieren. Da bleibt einem die Luft weg. Das geht mir unter die Haut. Ich hab’ viel um die Ohren. Da bekommt man weiche Knie usw. usw.

SYMPATHICUS UND PARASYMPATHICUS

Das vegetative Nervensystem unterscheidet dabei praktischerweise, ob man gerade am Strand auf dem Handtuch entspannt oder im Wasser einem Hai davon schwimmen muss, um es etwas zugespitzt auszudrücken. Der parasympathische Teil des vegetativen Nervensystems übermittelt Signale, die den Energieverbrauch des Körpers senken (z.B. indem der Herzschlag verlangsamt wird). Während der sympathische Teil aktiv wird, wenn wir in Alarmbereitschaft sind und dringend Energie benötigen. Dann wird der Herzschlag angekurbelt, die Pupillen und Bronchien weiten sich, die Muskeln werden besser durchblutet, kurzum: Wir sind bereit zur Flucht. Man könnte auch sagen, der Parasympathikus ist der Erholungsnerv und der Sympathikus der Stress- oder Leistungsnerv. Hier wirkt jetzt das Autogene Training ein, vornehmlich durch Selbstbeeinflussung.

SELBSTBEEINFLUSSUNG (AUTOSUGGESTION)

Wir hatten ausgeführt, dass das vegetative Nervensystem automatisch Körperfunktionen steuert. Durch das Autogene Training wird es möglich, diese Organfunktionen zu beeinflussen. Dazu stellt sich der Trainierende bestimmte Zustände des eigenen Körpers und der Gefühlswelt vor. Leichte, autosuggestive Übungen zur Tiefenentspannung stehen dabei im Mittelpunkt. Indem man sich zum Beispiel Ruhe, Schwere oder Wärme vorstellt, werden Zustände erzeugt, wie sie bei tatsächlicher Entspannung vorliegen. Prinzipiell wird also vom Leistungszustand in den Entspannungszustand willentlich umgeschaltet. Das ist allerdings wesentlich leichter gesagt als getan, da ja der “Autopilot”, das vegetative Nervensystem zunächst einmal dem willentlichen Zugriff entzogen ist. Die Anregung solcher körperlicher Umschaltvorgänge will gelernt sein. Beim autogenen Training werden durch gezielte, intensive Vorstellungen solche Umschaltvorgänge angeregt, die beim Gelingen zu einem körperlich-seelischen Ruhezustand führen.

WIE FUNKTIONIERT AUTOGENES TRAINING?


Durch immer gleiche Befehle, die in monotoner Reihenfolge wiederholt werden und an den oder die Anwendende gerichtet sind (s. Autosuggestion), passieren zwei Dinge: Äußere Reize werden ausgeblendet und das vegetative (unwillkürliche) Nervensystem wird beeinflusst. Dadurch sollen die Gehirnaktivität verändert, Stress abgebaut und Verkrampfungen gelöst werden.

Inhalt des Autogenen Trainings ist es, zunächst gedanklich Formeln aufzurufen wie zum Beispiel: „Ich bin ganz ruhig“ oder „Meine Arme und meine Beine sind ganz warm“. Die Übung wird im Liegen oder im Sitzen in entspannter Haltung absolviert. Die Augen sind geschlossen. In Gedanken werden die formelhaften Sätze durchgegangen. Während der Übung soll so tatsächlich Ruhe empfunden werden und ein Gefühl der wohligen Wärme entstehen. Die Formeln decken dabei das Spektrum entspannter Reaktionen ab wie Ruhe, Wärme, Schwere durch Muskelentspannung, ruhiger Atem und ruhiger Herzschlag. Grundlage ist die Beobachtung, dass der Körper sich tatsächlich entspannt, wenn durch die Eingabe der autogenen Formeln diese Entspannung ausgelöst werden soll, obwohl das vegetative Nervensystem vielleicht auf einen anderen Zustand “gepolt” ist. So werden bestimmte Körperfunktionen, die eigentlich nicht aktiv gesteuert werden können, über den Umweg der Vorstellung schlussendlich doch beeinflusst.

AUTOGENES TRAINING – EIN BEISPIEL


DIE WÄRMEÜBUNG

Gehen wir einmal eine Übung des Autogenen Trainings durch. Das ist jetzt nicht als Gebrauchsanweisung zu verstehen, sondern soll nur der besseren Vorstellung dienen. Wir widmen uns in den Grundzügen der sogenannten Wärmeübung: Dazu suchen wir uns einen ruhigen, ungestörten Ort. Wir setzen uns auf einen Sessel, die Arme liegen auf den Armlehnen, die Beine berühren sich nicht. Die Augen sind geschlossen. Wir atmen in 3 bis 4 Zügen ein und wieder aus.

Dann konzentrieren wir uns auf die „Ruheformel“: „Ich bin ganz ruhig, ruhig und entspannt. Meine Gedanken kommen und gehen.“. Das sagen wir nicht laut, sondern mit unserer inneren Stimme etwa 4 bis 6 Mal. Wieder mit der Inneren Stimme sagen wir nun zu uns selbst: „Mein linker Arm ist angenehm warm“. Dabei konzentrieren wir uns auf den Arm und wiederholen das ebenfalls 4 bis 6 Mal. Jetzt wird die Konzentration auf den rechten Arm verlagert mit der Formel: „Mein rechter Arm ist angenehm warm“

GRUNDSTUFE DES AUTOGENEN TRAININGS


Das Autogene Training ist in mehrere Stufen unterteilt. Der Ausgangspunkt nennt sich Grundstufe. Ziel dieser Stufe ist es, sich körperlich zu entspannen und die Selbstsuggestion einzuüben. In der Regel besteht die Grundstufe aus 6 verschiedenen Grundübungen. Wie in unserem Beispiel bereits beschrieben, steht zu Beginn immer die sogenannte Ruheformel: „Ich bin ganz ruhig, ruhig und entspannt. Meine Gedanken kommen und gehen.“ Nach der Einleitung wird eine der Grundübungen durchgeführt. Diese Grundübungen heißen:

DIE SCHWEREÜBUNG

Hier wird körperliche Entspannung durch das Erzeugen eines angenehmen Schweregefühls erzeugt. Die Suggestion hat den Wortlaut: „Mein rechter / linker Arm ist angenehm schwer“.

DIE WÄRMEÜBUNG

Die Wärmeübung läuft genauso ab wie die Schwereübung. Nur die Formel hat einen anderen Wortlaut und lautet: „Mein rechter / linker Arm ist angenehm warm.” Auch hier wird eine 4 bis 6 malige Wiederholung empfohlen, bis ein angenehmes Wärmegefühl entstanden ist.

DIE HERZÜBUNG

Bei der Herzübung geht es darum, den eigenen Herzrhythmus zu spüren und den Herzschlag bewusst zu realisieren. Die Formel dazu heißt: „Mein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig“ oder „Mir ist wohlig warm ums Herz“. Hier ist anzumerken,dass man auf diese Übung verzichten sollte, sobald ein Unbehagen ausgelöst wird oder Ängste entstehen.

DIE ATEMÜBUNG

Der eigene Atemrhythmus steht bei dieser Übung im Mittelpunkt. Man konzentriert sich auf die Tiefe der Atemzüge mit der Formel: „Ich atme ganz ruhig und gleichmäßig.”

DIE SONNENGEFLECHTSÜBUNG

Der Unterschied zu der bereits beschriebenen Wärmeübung besteht darin, dass die Wärme an einer bestimmten Stelle im Körper, konkret dem Bauchraum, hingelenkt wird. So werden Stoffwechsel und Verdauung angeregt. Formeln für die „Sonnengeflechtsübung“ heißen: „Der Bauch strömt warm“, oder „Das Zentrum ist strömend warm“. Dabei kann man sich vorstellen, wie Sonnenstrahlen auf den Bauch scheinen und so ein angenehmes Gefühl der Wärme hervorrufen.

DIE STIRN- ODER KOPFÜBUNG

Ging es bislang um Wärme, so wird mit dieser Übung ein kühlendes Gefühl auf der Stirn erzeugt. Vorstellungsinhalt ist zum Beispiel ein kühlender erfrischender Windzug, der die Stirn touchiert. Dazu spricht man die formelhaften Sätze:

„Mein Kopf fühlt sich angenehm kühl und leicht an.” Oder: „Mein Kopf ist frei und klar.”

Tatsächlich erfordert Autogenes Training möglichst tägliches Üben über mehrere Wochen und Monate, um die Technik wirklich zu erlernen. Auch wenn sich nicht gleich Erfolgserlebnisse einstellen, sollte man das Training nicht sofort wieder abbrechen. Dazu ist es auch wichtig, sich einen Ort zu suchen, an dem man ungestört ist, der von Ruhe dominiert wird und keine Ablenkung vorhanden ist. Eigentlich birgt Autogenes Training kein Risiko, dennoch kann es ratsam sein, sich mit dem Hausarzt abzusprechen, z.B. falls Vorerkrankungen vorhanden sind.

Sollte die Grundstufe und die entsprechenden Entspannungstechniken eingeübt sein, besteht die Möglichkeit, weitere Stufen wie die Mittelstufe bzw. die Oberstufe zu durchlaufen.

MITTEL- UND OBERSTUFE DES AUTOGENEN TRAINING


Wer im Autogenen Training geübt und versiert ist sowie über eine längere Erfahrung verfügt, kann sich weiteren Stufen der Entspannungstechnik widmen. Üblicherweise werden sie Mittel- und Oberstufe genannt. Allerdings steht eine Weiterführung der körperlichen Entspannung in diesen Stufen nicht mehr im Mittelpunkt. Vielmehr geht es um vertiefte Selbsterkenntnis, Selbsterfahrung und Selbstfindung. Die wohlige Entspanntheit dient dabei als Grundlage, den Erfahrungshorizont zu erweitern und über Bereiche zu reflektieren, die für einen persönlich mehr im Dunklen liegen. Ausführliche Informationen dazu und zum Autogenen Training im Allgemeinen liefert dieses Buch.

FAZIT: AUTOGENES TRAINING UND DER SCHLAF


Schon Wilhelm Busch ist dem stressigen Leben mit einer gewissen Skepsis begegnet. Der poetische Denkanstoß passt zum Thema und sei hier zitiert:

[…]

Ohne ihn, da ging es nicht.

Ohne ihn war nichts zu machen,

Keine Stunde hatt’ er frei.

Gestern, als sie ihn begruben,

War er richtig auch dabei.

Die Beobachtungen von Busch liegen etwas zurück. Heute hat sich die Lage eher noch verschärft. Wie nicht nur Studien, sondern sicherlich auch unsere persönliche Erfahrung zeigt, nehmen psychosoziale Stressoren in den letzten Jahren massiv zu. Ob globale, gesellschaftliche Probleme, Intrigen am Arbeitsplatz, Beziehungsstress, Dauerfehden mit dem Nachbarn, die ständige Erreichbarkeit und Reizüberflutung dank der Digitalisierung – es gibt zahlreiche Belastungssituationen, die Stress zur Folge haben. Stress wird allerdings individuell verschieden erlebt. Enttäuschungen, Überforderung, die Angst zu versagen, Unsicherheiten in der Einschätzung einer Situation, was auch immer jemand als starke Stressoren empfindet, wichtig ist es, über geeignete Bewältigungsstrategien zu verfügen. Denn, kurzfristig mal in Stress zu geraten, ist nicht tragisch. Dauerhafter Stress allerdings wird zum Problem, das auch Schlafstörungen zur Folge haben kann.

Hier helfen mentale Übungen wie zum Beispiel das Autogene Training. Im Idealfall aktiviert das Training zielgerichtet den Parasympathikus, der im vegetativen Nervensystem die Aufgaben des “Ruhenervs” übernimmt. Entspannung und Erholung sind die Folge. Mentale Techniken können daher tatsächlich helfen, Stressoren bewältigend zu begegnen wie auch Studien beweisen. Das kommt auch dem Schlaf zugute. Ob Autogenes Training für einen geeignet ist, Yoga, Meditation oder eine andere Form der Entspannungstechnik – das muss jeder und jede für sich selbst herausfinden. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema lohnt aber in jedem Fall.

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